„… das Gerücht über die Juden“
Antisemitismus als Herausforderung für die politische Bildungsarbeit

Videoaufzeichnung der Vortragsreihe 2021

Martha Keil, Videoaufzeichnung vom 21. Oktober 2021, JMW

Doron Rabinovici, Videoaufzeichnung vom 4. November 2021, Depot

Elke Rajal, Videoaufzeichnung vom 17. November 2021, online

Bernadette Edtmaier, Videoaufzeichnung vom 2. Dezember 2021, online

Eine Vortragsreihe der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB) in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Wien und dem Depot

Auch über 75 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes und der Schoah ist Antisemitismus in ganz Europa – wie auch in Österreich – immer noch ein virulentes Problem.

Was ist der fachliche Stand der politischen (Erwachsenen-)Bildung angesichts dieses Umstands? Aktuelle Studien halten fest: Politische Bildung beschäftigt sich zwar weitgehend mit dem Nationalsozialismus, viel weniger umfassend jedoch mit dem Antisemitismus. Viele Politikdidaktiker*innen beanstanden dabei insbesondere den unzureichenden Gegenwarts- und Zukunftsbezug.

Der Antisemitismus wird in der politischen Bildung oft undifferenziert als eine historische, bereits überholte Erscheinungsform des Rassismus abgehandelt. Wertvolle Beiträge der Forschung aus den 1980er Jahren, wie etwa die Analyse des „Antisemitismus ohne Juden/Jüdinnen“ oder der Konnex zwischen dem Antisemitismus und dem kulturalistischen Neorassismus gegen Migrant*innen, sind inzwischen größtenteils in Vergessenheit geraten.

Zudem bezieht sich heute ein weitverbreitetes antisemitisches Ressentiment auf Israel, und auch hier fehlt oft eine kritische Aufarbeitung des „Nahostkonflikts“ in der politischen Bildung: etwa eine breite Diskussion über Unterschiede zwischen einer faktenbasierten Kritik am Staat Israel und seiner antisemitisch motivierten Delegitimierung.

Zwei aktuelle Herausforderungen stellen sich außerdem der politischen Bildung. Zum einen der „neue Antisemitismus“, der durch Personen mit Flucht- und Migrationsgeschichte aus arabischen und islamischen Regionen geprägt ist. Hier kommt auf die politische Bildungsarbeit die doppelt schwierige Aufgabe zu, diese Spielart des Antisemitismus nicht zu ignorieren, aber sich zugleich von einer Instrumentalisierung durch rechtspopulistische und rechtsextreme Propaganda abzugrenzen.

Zum anderen ist seit Beginn der Pandemie eine weitere Facette zu beobachten. Frei nach dem Ausspruch von Theodor W. Adorno, Antisemitismus sei „das Gerücht über die Juden“, werden auf den sogenannten Corona-Demonstrationen und in den sozialen Medien vermehrt antisemitische Propaganda, Lügen und Mythen verbreitet.

Die Vortragsreihe wird sich mit diesen und weiteren Aspekten des Antisemitismus im Zusammenhang mit der politischen Bildungsarbeit befassen.

Damit setzt die ÖGPB ihre seit 2010 stattfindenden jährlichen Vortragsreihen zur politischen Erwachsenenbildung auch 2021 fort. Neben dem langjährigen Kooperationspartner Depot ist heuer das Jüdische Museum Wien – JMW der Hauptkooperationspartner und Mitveranstalter. In den beiden Häusern werden im Herbst 2021 drei Vorträge gehalten, der vierte Vortrag findet online statt.


Do., 21. Oktober 2021, 19 Uhr, JMW

Martha Keil: Unser Kulturerbe. Judenhass und antijüdische Stereotype seit dem Mittelalter

Die nationalsozialistische Propaganda musste nichts neu erfinden. Sämtliche judenfeindlichen Zuschreibungen, Bilder und Codes waren seit dem Mittelalter im kollektiven Gedächtnis gespeichert und mussten allenfalls reaktiviert bzw. neu kontextualisiert werden. Religiöse, wirtschaftliche und soziale Vorurteile fanden nicht nur in theologischen Traktaten ihren Niederschlag, die nur einem kleinen Kreis von Gelehrten zugänglich waren. Volkssprachliche Texte und vor allem bildliche Darstellungen im kirchlichen Bereich erreichten alle Schichten der Bevölkerung. Der Vortrag zeigt, dass Judenhass in seinen vielfältigen Erscheinungsformen Teil des europäischen, durch das Christentum geprägten Kulturerbes ist und aus dieser langen Tradition bis heute seine scheinbar unausrottbare Wirksamkeit entfaltet.

Martha Keil, Historikerin und Judaistin, ist Senior Scientist am Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien und leitet das Institut für jüdische Geschichte Österreichs (www.injoest.ac.at).


Do., 4. November 2021, 19 Uhr, Depot

Doron Rabinovici: Antisemit ist immer der Andere

Von einem neuen Antisemitismus ist seit Jahren die Rede, doch während über die Existenz dieses Phänomens mittlerweile wissenschaftlicher Konsens herrscht, ist durchaus umstritten, was genau unter diesem Begriff verstanden werden soll und welche Gruppierungen als die eigentlichen Triebkräfte dahinter ausgemacht werden. Wer ist der Antisemit in einer Zeit, da es keiner sein will? Die einen verweisen auf die populistische Rechte, andere auf Ressentiments, die sich als politische Kritik an Israel maskieren, doch viele wollen den Judenhass nur noch im islamischen Feld verorten. Nur der jeweils Andere wird verdächtigt. Was bedeutet aber das antijüdische Ressentiment gegen den exemplarisch Andersartigen in einer Welt, da uns in jeder Sonntagsrede bekundet wird, unser Ich sei immer auch ein Anderer?

Doron Rabinovici ist Schriftsteller und Historiker. 2019 gab er gemeinsam mit Christian Heilbronn und Nathan Sznaider in der edition suhrkamp das Debattenbuch „Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte“ heraus.


Mi., 17. November 2021, 19 Uhr, online

Elke Rajal: Antisemitismuskritische Bildungsarbeit mit Erwachsenen

Was soll und was kann Bildungsarbeit angesichts des nach wie vor weit verbreiteten Antisemitismus, beispielsweise in Form pandemiebedingter Verschwörungsmythen, tun? Und welche Rolle kommt hier der Erwachsenenbildung zu? Der Vortrag klärt den Begriff und umreißt das Arbeitsfeld „Antisemitismuskritische Bildungsarbeit“. Dabei wird insbesondere auf Fallstricke und Leerstellen solcher Bildungsbemühungen eingegangen. In abschließenden Anregungen für die Praxis wird aber auch veranschaulicht, wie eine gelingende antisemitismuskritische Bildungsarbeit aussehen kann.

Elke Rajal ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet derzeit am Lehrstuhl für Soziologie der Universität Passau. Sie engagiert sich in der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit.


Do., 2. Dezember 2021, 19 Uhr, online (via Zoom)

Bernadette Edtmaier: Was denken Jugendliche in Österreich über Jüdinnen und Juden?

Die Vortragende erhob in ihrer 2020 abgeschlossenen Studie­­ unter 330 Jugendlichen Vorstellungen über Jüdinnen und Juden – nicht nur antisemitische, sondern auch positiv-empathische und unvoreingenommene. Mittels eines qualitativen Auswertungsverfahrens konnten neben klaren Haltungen auch Ambivalenzen und Differenzierungsversuche in den Antworten sichtbar gemacht werden. Grenzen zwischen antisemitischen und nicht-antisemitischen Aussagen sind häufig nicht klar zu ziehen. Außerdem schließen positive und negative Bilder über Jüdinnen und Juden einander nicht immer aus. Auf Basis der erhobenen Daten stellt sich auch die Frage, ob die Auseinandersetzung mit dem Holocaust unmittelbar vor Gegenwartsantisemitismus „schützt“.

Bernadette Edtmaier, 2020 Promotion am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg, freiberufliche Historikerin.


Konzept & Realisierung: Sonja Luksik, Hakan Gürses (ÖGPB), Adina Seeger, Verena Schrom (JMW)

 

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