Schwerpunktthema der ÖGPB Projektförderung 2023

Demokratie zwischen Wissenschaftsskepsis und Expertenkonsens

Im Oktober 2022 wurde der Nobelpreis für Physik dem österreichischen Quantenphysiker Anton Zeilinger zuerkannt. Im September des vorigen Jahres waren indessen die Ergebnisse der Eurobarometer-Umfrage veröffentlicht worden, die eine schon länger geahnte Tendenz bestätigten: Das durchschnittliche Interesse der österreichischen Bevölkerung an Wissenschaft und Forschung ist im internationalen Vergleich auffallend gering. Zudem glaubt rund ein Drittel der Befragten, dass Forscher*innen nicht ehrlich seien, und bei der Frage nach dem positiven Einfluss der Wissenschaft auf die Gesellschaft rangiert Österreich am drittletzten Platz. Hier Desinteresse an, dort Exzellenz in der Wissenschaft, in ein und demselben Land – wie ist dieses paradoxe Bild zu erklären?

Das bedenkliche Resultat der Umfrage führte im Wesentlichen zu zwei unterschiedlichen Reaktionen in Medien wie in Fachdebatten. Einerseits wurde eine tiefliegende Wissenschaftsskepsis konstatiert, die zugleich einen Zweifel an der Demokratie signalisiere. Die Ablehnung einer Politik der Vernunft, die auf wissenschaftlicher Evidenz basiere, gehe einher mit der populistischen und irrationalen Ablehnung demokratischer Werte zugunsten von Verschwörungsmythen – besonders gut sichtbar geworden am Beispiel der Impfgegner*innen mitten in der Pandemie. Die andere Reaktion betonte wiederum, dass die Umfrage-Ergebnisse weniger auf eine allgemeine Wissenschaftsskepsis hinweisen würden, es gehe vielmehr um das Problem der Verknüpfung von Wissenschaft mit Politik. Wenn etwa jene Partei, der man ohnehin nicht vertraut, dazu aufrufe, sich impfen zu lassen, werde das dahinter liegende wissenschaftliche Argument ebenso in Zweifel gezogen. Nicht die Beziehung zwischen Wissenschaft und Bevölkerung sei demnach das Problem, sondern jene zwischen (vor allem als Expertenkonsens präsentierter) Wissenschaft und Politik.

Trotz ihrer Unterschiede versuchen beide Interpretationen des Barometers ein gemeinsames Phänomen zu erklären, nämlich jenes der tiefen Polarisierung in der Gesellschaft. Im Rahmen dieser neuen Verwerfung entlang des Wissens beklagt die „vernünftige“ Seite bei jeder aktuellen Gelegenheit die Dummheit von „Corona-“ und „Klimawandel-Leugner*innen“ oder neuerdings von „Putin-Versteher*innen“. Medial sichtbar gewordene Wissenschafter*innen und politisch Verantwortliche wiederum bekommen einen Shitstorm oder sogar Todesdrohungen von Teilen der anderen Seite (Stichwort: „Querdenker*innen“). Der Demokratie zuträglich ist die Lage wohl mitnichten.

Wie man den Missstand nun auch benennt und erklärt, als Lösung wird von fachlicher Seite jeweils die Verbesserung und Intensivierung folgender Maßnahmen empfohlen: Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftskompetenz, Medienkompetenz (vor allem im Bereich der Social Media), evidenzbasierte mediale Information, politische Bildung in der Schule ... Wie kann nun politische Erwachsenenbildung zur Entspannung der Freund-Feind-Polarisierung sowie zu einer egalitären und zugleich argumentativen Aushandlung der Streitfragen beitragen? Welche Bildungsmaßnahmen kann sie angesichts der gefährdeten Demokratie anbieten, die derzeit zwischen Wissenschaftsskepsis und Expertenkonsens eingezwängt zu sein scheint?


Bei der Projektförderung werden etwa 50 % der gesamten Fördermittel an Projektvorhaben vergeben, die sich mit diesem thematischen Schwerpunkt auseinandersetzen. Mit den übrigen 50 % der Mittel werden auch Projekte zu anderen, frei wählbaren Themen der politischen Erwachsenenbildung (gerne auch zu den Schwerpunktthemen der Vorjahre) gefördert, um die Kontinuität der Bildungsarbeit zu gewährleisten.

Diese Website verwendet Cookies. Indem Sie weiter auf dieser Website navigieren, ohne die Cookie-Einstellungen Ihres Internet Browsers zu ändern, stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies zu.